Belvedere 21
GÜNTER BRUS
UNRUHE NACH DEM STURM
Pressekonferenz:
Donnerstag, 01. Februar 2018 | 10 Uhr
Eröffnung: 1. Februa 2018 | 19 Uhr
Kurator Harald Krejci
Ausstellung: 2. Februar – 12. August 2018
Arsenalstraße 1, 1030 Wien
https://www.21erhaus.at/
https://www.belvedere.at/
#GunterBrus21
Günter Brus, Portfolio Ana IV, 1964/2004
Foto: Khasaq (Siegfried Klein), © Belvedere, Wien (Foto: Johannes Stoll)
mit Anna Brus
Belvedere 21
GÜNTER BRUS
UNRUHE NACH DEM STURM
2. Februar bis 12. August 2018
Anlässlich seines achtzigsten Geburtstags wurdigt das Belvedere 21 das Gesamtwerk von Gunter Brus mit einer umfassenden Retrospektive. Passend zum Jahresmotto „Spirit of ’68“, das 2018 als Klammer fur die gesamten Aktivitäten des Belvedere 21
fungiert, wird mit dieser Ausstellung Günter Brus als großer Kunstrebell der 1960er- Jahre gewuerdigt. Fuenfzig Jahre nach der radikalen Aktion Kunst und Revolution zeigen wir, dass Brus nie aufgehört hat sich weiterzuentwickeln und seine künstlerischen Mittel immer wieder neu zu erfinden, so Stella Rollig, Generaldirektorin Belvedere und Belvedere 21. Guenther Brus gehört heute zu den wesentlichen internationalen kuenstlerischen Positionen in Österreich. Als Vertreter des Wiener Aktionismus thematisiert der Kuenstler in den 1960er Jahren mit eindringlicher Präsenz die physische und psychische Verfasstheit des Menschen und die Ausgesetztheit des Individuums gegenueber gesellschaftlichen Regelwerken. Mit seinem radikalen, körperbezogenen und performativen Werk gelingt es ihm, sich von der „Marke“ Wiener Aktionismus zu lösen und sich als wesentlicher Wegbereiter der internationalen Aktions- und Performancekunst in die Geschichte einzuschreiben. 1970 wendet sich Guenter Brus von der Aktionskunst ab und beschäftigt sich zunehmend mit dem Medium Zeichnung, mit „Bild- Dichtungen“ und Theaterarbeiten.
Ein Anliegen dieser Schau ist die umfassende Präsentation der ausgewählten Serien. Neben den bekannten Aktionsfotos, ergänzt um bisher kaum gezeigtes Material, werden Brus’ serielle Zeichnungen und „Bild-Dichtungen“, darunter der 160-teilige Zyklus Leuchtstoffpoesie und Zeichenchirurgie, in ihrer Gesamtheit gezeigt. Insgesamt sind rund 120 Werkzyklen und Werke mit mehr als 700 Einzelobjekten in der Ausstellung zu sehen, darunter Filme und bisher unbekannte Werkserien.
Die Ausstellung im Obergeschoss des Belvedere 21 wirft einen Blick auf das gesamte OEuvre des Kuenstlers und macht Zusammenhänge sichtbar. So sind die Theaterprojekte, die Zeichnungszyklen und die Kuenstlerbuecher genauso wie die frühe gestische Malerei und die bekannten Aktionen Indizien fur Brus’ radikale Kunstauffassung einer konsequenten Zerstörung des Kunstwerks, genauer gesagt seiner traditionellen Gestalt als Tafelmalerei, erläutert Kurator Harald Krejci
Die große Guenter Brus Retrospektive im Belvedere 21 öffnet sechs Themenfelder: Malerei imerweiterten Feld, Anna und Günter Brus, Bild und Narration, Kollaborationen, Theater und Psyche sowie die Berliner Zeit.
MALEREI IM ERWEITERTEN FELD
1960 beginnt Günter Brus mit einer radikal gestischen Malerei. In seinem Streben aus dem klassischen Tafelbild auszubrechen kreiert er „Raumbilder“, bei denen die formalen Grenzen der Leinwand keine Rolle mehr spielen. Seine späteren Performances und Aktionen sind als Weiterentwicklung der informellen Malerei zu sehen. In seiner ersten Performance Ana steht 1964 der eigene Körper im Zentrum der künstlerischen Auseinandersetzung. Konsequent erweitert Brus den Werkprozess und lädt seine Aktionen und Performances mit weiteren Bedeutungsebenen auf. Ist der Körper anfangs noch Trägermaterial des malerischen Prozesses, so wird er später zur Membran und zur Metapher gesellschaftlicher Prozesse und damit auch zur Projektionsfläche seiner Gesellschaftskritik. Mit seiner letzten Aktion Zerreißprobe, die 1970 den radikal erweiterten Malereibegriff des Künstlers mit und an seinem Körper verdeutlicht, hat Günter Brus die Geschichte der Performancekunst maßgeblich geprägt.
DIE BERLINER ZEIT
Wegen seiner Teilnahme an der kollektiven Aktion Kunst und Revolution an der Universität Wien, die 1968 als sogenannte „Uniferkelei“ in die Geschichte der Wiener Aktionskunst eingegangen ist, wird Günter Brus verurteilt und flieht vor einer drohenden Haftstrafe nach Berlin. In der Ausstellung wird Berlin als Anfangspunkt seines neuen Zugangs zur Kunst und der Beschäftigung mit Theater und Literatur betrachtet. Es entstehen „Bild-Dichtungen“, die in ganze Bildzyklen münden. So zum Beispiel der Zyklus Franz Schreker. Die Gezeichneten, der in seiner Gesamtheit
gezeigt wird. Mit anderen österreichischen Künstlern wie H.C. Artmann, Oswald Wiener und Gerhard Rühm arbeitet Günter Brus im Berliner Exil an vielfältigen künstlerischen Projekten. In der Künstlerzeitschrift Die Schastrommel publiziert er Arbeiten seiner Künstlerfreund_innen. In jenen Jahren versucht er zudem, mit Theaterprojekten finanziell Fuß zu fassen. In Berlin entsteht auch die Selten gehörte Musik, die im Belvedere 21 zu hören sein wird.
BILD UND NARRATION
Mit seiner letzten Aktion Zerreißprobe wendet sich Günter Brus 1970 von der Aktionskunst ab und literarisch-bildnerischen Arbeiten zu. 1971 veröffentlicht er seinen ersten Roman Irrwisch, den er mit Zeichnungen untermauert. Daraus entwickeln sich neue Kombinationen von Literatur und bildender Kunst. Die von Brus geschaffene Gattung der „Bild-Dichtungen“ liegt im Spannungsfeld zwischen Begrifflichkeit und Bildlichkeit. Bild- und Sprachzeichen gehen fließend ineinander uber und ergänzen einander. Die Texte – von Aphorismen bis zu Erzählungen und Sprachspielen – stammen überwiegend von Brus selbst. 1998 verfasst Günter Brus Leuchtstoffpoesie und Zeichenchirurgie, das in einem vielschichtigen Beziehungsgeflecht geschlossene Erzählungen, Textsplitter, Zeichnungen und Bild-Dichtungen zusammenfuehrt.
THEATER UND PSYCHE
Seit den 1970er Jahren setzt sich der Künstler mit dem Theater als darstellende Kunstform auseinander und entwickelt über seine Bild-Text-Zyklen hinausreichende Bühnenstücke. Er gestaltet in der Tradition des antiken Theaters Bühnenbilder, Kostüme und Stückinhalte und belebt diese mit grotesken, humorvollen und spielerisch-fantastischen Elementen. So entwickelt Günter Brus aus der Konzentration auf den eigenen Körper im Raum eine bildmächtige Gesamtkomposition für die Bühne. Wie in seinen Bild-Dichtungen und Texten sind auch für die Bühnenstücke die ausdrucksstarke, symbolisch-sinnbildliche Sprache und die abstrahierte, freie Darstellungsweise prägend. Sein erstes vollständiges Werk ist die Tragödie Der Frackzwang. In seiner Inszenierung des Stückes Erinnerungen an die Menschheit, nach einem Text von Gerhard
Roth, reiht er lose Szenen aneinander und bricht damit die klassische Form der Dramaturgie auf. Fuer Das schlaue Fuechslein, eine Oper des tschechischen Komponisten Leoš Janáček, entwirft Brus die Kostüme.
ANNA UND GÜNTER BRUS
Einen besonderen Fokus legt die Ausstellung auf Günter Brus’ Zusammenarbeit mit seiner Frau Anna, der Namensgeberin seiner ersten Performance. Aufgezeigt wird Anna Brus’ Anteil an der Erarbeitung der Aktionen. Anders als seine Mitstreiter Muehl oder Nitsch, die in ihren Arbeiten und im Umgang mit ihren Modellen dem Machismus verhaftet waren, hat Günter Brus immer mit seiner Frau kooperiert. Anna Brus sicherte den Lebensunterhalt für ihre Familie und wirkte in ihrer Freizeit bei Aktionen mit – ein Familienmodell, das in den frühen 1970er Jahren sehr unueblich war. Inwieweit diese Form der Partnerschaft eine bewusste Entscheidung mit emanzipativer Grundhaltung war, bleibt offen. Fakt ist, dass Günter Brus Geschlechterrollen in seinem Werk immer wieder aufgreift und damit stereotype Zuschreibungen und Rollenbilder hinterfragt.
KOLLABORATIONEN
Günter Brus sucht stets die Auseinandersetzung mit Künstlerkolleg_innen und mit seinem Publikum. Die als Gemeinschaftsarbeiten mit anderen Künstler_innen entstandenen Werke werden in besonderer Form in der Ausstellung präsentiert. Ein Raum innerhalb der Retrospektive wird während der Ausstellungslaufzeit mit Wechselausstellungen bespielt. Gezeigt werden Kollaborationen mit Künstlerkollegen wie Arnulf Rainer, Jörg Schlick und Dominik Steiger sowie eine eigens für die Ausstellung entstandene Rauminstallation der jungen Kuenstlerin Sophia Sußmilch.
Gunter Brus wurde am 27. September 1938
in Ardning in der Steiermark geboren,
er lebt und arbeitet in Ardning und Graz.
KATALOG
Zur Ausstellung erscheint ein umfassender Katalog mit Beiträgen von Kunsthistoriker_innen,
Kunsttheoretiker_innen und Theaterwissenschaftler_innen, der zum aktuellen Nachschlagewerk
zu Günter Brus werden soll.
Günter Brus. Unruhe nach dem Sturm
Herausgeber_innen: Stella Rollig, Harald Krejci
Autor_innen: Harald Krejci, Annette Jeal, Lehmann, Ana Petrovic, Stella Rollig, Kristine Stiles
Grafikdesign: Atelier Liska/Wesle
Druck und Bindung: Gugler GmbH, Melk
Verlag der Buchhandlung Walther König
Seitenanzahl: ca. 272 Seiten
33 x 24 cm, Softcover
Ca. 400 Abbildungen
Deutsch und Englisch in einem Band
ISBN 978-3-903114-50-0
