
Marcel Odenbach zählt zu den Pionieren und bedeutendsten Vertretern der Videokunst. Seit einigen Jahren sind aber auch seine vielschichtigen, meist großformatigen Collagen in den Blickpunkt gerückt, in denen er seine filmische Arbeit fortschreibt. In der Kunsthalle Wien ist derzeit Odenbachs Einzelausstellung „Beweis zu nichts“ zu sehen, die seine Videos und Collagen in einen direkten Dialog zueinander stellt. Beide Werkkomplexe – sowohl das Bewegtbild als auch das stehende Bild – sind dabei stets von einer eingehenden, komplexen Beschäftigung mit politischen, gesellschaftlichen und historischen Themen geprägt.
Auch Peter Miller widmet sich seit Beginn seiner künstlerischen Laufbahn dem Film und dem Video. Auch er schreibt das Bewegtbild häufig in das stehende Bild fort. Anders als bei Marcel Odenbach stehen dabei vor allem formale, technische und illusionistische Aspekte im Vordergrund. Mit einer seiner viel beachteten experimentellen Filmarbeiten ist Peter Miller in diesem Jahr bei der Biennale in Venedig vertreten. “Stained Glass” wird im Rahmen der von Christine Macel kuratierten Biennale-Schau „Viva Arte Viva“ gezeigt.
Marcel Odenbach und Peter Miller haben sich in den 2000er Jahren in Köln an der KHM, der Kunsthochschule für Medien, kennengelernt, wo Odenbach unterrichtete und Miller ein Stipendium absolvierte. Seither stehen sie in einem ständigen künstlerischen Austausch. „Modus Operandi Post Meridiem“ ist ihre erste gemeinsame Ausstellung. Sie greifen darin insbesondere typisch Wienerische Eigenheiten und Topoi auf.- von der Mannerschnitte bis zu Sigmund Freud.

Odenbachs Collage ‚Verführung’ zeigt drei überdimensionierte Mannerschnitten. Bei genauer Betrachtung sieht man, dass sie sich aus hunderten kleinen Fotos berühmter Österreicher zusammensetzt, die den Künstler beeindruckt und fasziniert haben oder die er einfach mit der Alpenrepublik verbindet. Da findet man Ludwig Wittgenstein,Thomas Bernhard, Ingeborg Bachmann und Sigmund Freud, aber auch Udo Jürgens, Natascha Kampusch und den 70er-Jahre- TV-Star Sieghardt Rupp. Den Hintergrund der Arbeit bilden wiederum Seiten aus den Thomas-Bernhard- Büchern „Beton“ und „Holzfällen“. Sie sind alten Ausgaben entnommen, die der Künstler in seiner Jugend mit Anmerkungen versehen hat.
Dieser Arbeit stellt Peter Miller das großformatige Foto eines Snickers-Schokoriegels gegenüber. Auf seiner Unterseite sieht man die Spuren der industriellen Produktion, ein Impuls. Der Titel: ‚Satisfaction’.
In der Arbeit „Wiener Mappenwerk“ nimmt Marcel Odenbach direkten Bezug zu seinem Ur-Ur- Großvater, der in Wien als Kirchenbaumeister lebte und wirkte. Am Höhepunkt seiner Berufstätigkeit dokumentierte er alle von ihm geschaffenen Kirchenfenster in einer Mappe, die genau diesen Titel trug: „Wiener Mappenwerk“. Odenbach paraphrasiert das Werk durch die Einbände von sechs verschiedenen, typischen Künstlermappen.
Peter Miller wiederum paraphrasiert Sigmund Freud: In einem Humidor präsentiert er eine Zigarre, die zur Pfeife geformt ist. Dies verbindet Freuds Zigarrensucht und Margrittes Pfeifen-Gemälde.
Dämonen zum Dessert
Wir stehen vor diesem großen Bild und ein vertrauter Duft erreicht unser Gehirn: Manner Schnitten. Wir können sie fast schmecken. Was natürlich eine gelungene Sinnestäuschung ist — wie so vieles in dieser aktuellen Ausstellung: Marcel Odenbach und Peter Miller haben sich zu einem Duett in den Wiener Räumen der Galerie Crone eingefunden. Odenbach, geboren in Köln, der große Pionier der Videokunst und bis heute einer seiner wichtigsten Vertreter. Miller aus Vermont, einst Stipendiat an der Kunstschule in Köln, an der Odenbach unterrichtete, heute sein geschätzter Kollege und guter Freund.
Was servieren uns die beiden?
Es sind sehr unterschiedliche Collagen, Fotoarbeiten, Siebdrucke und Objekte, die dennoch miteinander kommunizieren. Was die einzelnen Arbeiten außerdem verbindet: Sie beziehen sich auf Wien und wurden von den Künstlern für die Ausstellung konzipiert. Auch wenn jedes Werk für sich alleine steht — die Künstler haben sich ja, wie beide glaubhaft versichern, nicht abgesprochen — so finden sie sich hier doch zu einem fröhlichen und eindrucksvollen Menü zusammen.
Einige Auszüge:
Als Vorspeise wird Peter Millers Arbeit Blätter gereicht, ein großer, lebender Wiener Baum (im Tontopf), der sich quasi in der Nacht vor der Ausstellung selbst fotografiert hat — das belichtete Bilddokument jedes einzelnen Blattes hängt an der Wand hinter dem Baum. Als Beilage gibt es Marcel Odenbachs Schoten, eine Heldenverehrung des Künstlers in Form von drei Collagen auf den Schoten eines Johannisbrotbaumes.
Der Hauptgang ist zugleich die gigantische Nachspeise. Hier, im großen Raum, kommt nun wieder die Illusion bekannter Düfte ins Spiel. Es gibt Süßigkeiten und das nicht zu knapp: Marcel Odenbach nähert sich der ehemaligen Kaiserstadt mit einer doppelbödigen Morgengabe. In Verführung, dem zentralen Werk der Ausstellung, lässt er drei Manner Schnitten zur österreichischen Dreifaltigkeitsikone anwachsen — im Original nur fingerdick groß, füllen sie hier ein Bild von knapp zweieinhalb mal eineinhalb Meter aus. Ein paar Brösel liegen auch herum, das Ganze auf rosa Grund. Und schon erliegt man einer weiteren Sinnestäuschung: Nähert man sich dem Bild, entpuppt sich das lustvolle Pop-Art- Zitat als akribisch ausgeführte Collage. Die Nougat- und Waffelschichten bestehen aus hunderten kleinen Fotos. Den Köpfen von Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Ludwig Wittgenstein und Sigmund Freud. Aber auch von Udo Jürgens, Natascha Kampusch oder der 70er-Jahre- TV-Star Sieghardt Rupp. Berühmte Österreicher, die den Künstler fasziniert und beeinflusst haben.
Fast ebenso groß, gleich neben Odenbachs bittersüßem Exzess, hängt eine Fotoarbeit von Peter Miller. Sie zeigt die überdimensionale Rückseite eines Snickers. Frechheit siegt: Der berühmte Schokoriegel von hinten, die Struktur seiner Oberfläche. Punkt. Titel der Arbeit: Satisfaction. Miller, der perfekt Deutsch spricht, grinst und sagt: „Ich esse gerne Snickers. Aber die orale Befriedigung durch comfort food hat ja auch ganz viel mit Sigmund Freud zu tun.”
Natürlich macht das alles Sinn. Wien ist berühmt für seine Mehlspeisen. Naschkatzen nennt man hier Zuckergoscherln. Hemmungsloses Trinken und das Hineinschaufeln von Nachspeisen gilt als verlässliche Methode, Unangenehmes hinter sich zu lassen. Aber was ist es, das so dringend vergessen werden muss? Weggesperrt in die Kellerabteile des Bewusstseins von Kleinbürgern und Machtmenschen?
Marcel Odenbach, der ursprünglich Architektur und Kunstgeschichte studiert hat, arbeitet sich konsequent an kollektiven Verdrängungsmechanismen ab. „Tabus interessieren mich schon familienbedingt”, sagt er. Aufgewachsen in einer kosmopolitischen, aber vollkommen unpolitischen „Reisefamilie”, wie er es nennt. Teile seiner Familie stammen aus Paris und Konstantinopel, seine Urgroßmutter war Klavierlehrerin am Wiener Hof, sein Ururgroßvater arbeitete in der Habsburger Metropole als Glasmaler und entwarf die Fenster des Stephansdoms.
Als Reaktion auf ewig Unausgesprochenes beschäftigt sich Odenbach, der Nachfahre, in seinen Videos und Collagen mit den Verbrechen des Nationalsozialismus, mit den Machtinstrumenten zu DDR-Zeiten und mit den Gräueltaten der Europäer in ihren ehemaligen afrikanischen Kolonien.
In der Wiener Kunsthalle ist derzeit seine Einzelausstellung Beweis zu Nichts zu sehen. „Als Ergänzung zu meinen ernsten und schweren Arbeiten in der Kunsthalle wollte ich hier mit mehr Witz an die Sache gehen”, erklärt er seine Arbeiten für Crone. In die Abgründe der österreichischen Seele wollte er dabei trotzdem blicken.
Odenbach ist ein, im besten Sinne des Wortes, politischer Künstler. Kennt sich außerdem aus im Kanon der deutschsprachigen Literatur, der österreichischen im Speziellen. Thomas Bernhards Holzfällen hat er damals als Reclam-Heft verschlungen — nun bilden die rosa eingefärbten Druckseiten, inklusive seiner Bleistiftmarkierungen, den Hintergrund für die scheinbare Verführung durch Manner Schnitten.
Die Blumen des Bösen serviert uns Peter Miller nach dem Essen in Form eines Kartenspiels — und hier beweist der jüngere und verspieltere Künstler, der demnächst auch auf der Biennale in Venedig zu sehen sein wird, dass er nur scheinbar mit leichter Hand und aus der Hüfte schießt: Für seine Installation 48 Köpfe aus dem Szondi Test hat er einen der perfidesten Psychotests der Geschichte, den Persönlichkeitstest des österreichisch-ungarischen Nervenheilarztes Leopold Szondi, zu einem Kartenspiel samt Kartentisch umfunktioniert.
Das anregende Menü von Marcel Odenbach und Peter Miller läuft unter dem Titel Modus Operandi Post Meridiem. Man könnte ihm den Titel eines Essays der Schriftstellerin und Journalistin Hilde Spiel über das Wienerische hinzufügen: Die Dämonie der Gemütlichkeit.
Ela Angerer
