Jean-Luc Moulène, Monsieur Probre jusqu’à l’os, Schaum, gefärbert Harz, 2016, Ausstellungsansicht Centre Pompidou. Courtesy der Künstler und Chantal Crousel & Niklas Svennung, Paris/Bozen, Foto: Florian Kleinfenn
Seit über dreißig Jahren erkundet Jean-Luc Moulène in seinem thematisch und medial breit gefächertem Œuvre das Wesen künstlerischer Arbeit und was es bedeutet, Autor eines Kunstwerk zu sein. Er arbeitet mit einer Vielzahl unterschiedlicher Materialien – von industriell hergestellten bis zu organischen oder vorgefundenen – und in Medien wie Fotografie, Film, Malerei, Skulptur und Installation. Interdisziplinäre Kollaborationen schätzt Moulène vor allem bei Arbeiten, die sich an der Schnittstelle von Kunst und Industriedesign bewegen. Grundsätzlich zieht sich das Bewusstsein über das Verhältnis von Kunstwerken als Ware und als Teil der Warenzirkulation durch das Werk des Künstlers. Die Definition seiner Skulpturen als Objekte und die Bezeichnung seiner Werke als Produkte verweist auf die diesbezügliche Sensibilität des Künstlers. Genau wie für Moulène Fotografie zwischen Medium und
Kunst oszilliert, sieht er seine Objekte im Status zwischen Skulptur und Produkt, seine Fotografien wiederum als post-fotografische Dokumente. Moulène, der sich selbst als Poet bezeichnet, ist neben Poesie von Mathematik – genau genommen von der Mengenlehre – inspiriert, in der er eine Metapher für sozialen Raum sieht. Beobachtung und Analyse dieses sozialen oder gesellschaftlichen Raumes, seiner Formen und Überschneidungen mit individuellen Räumen kennzeichnen viele seiner Arbeiten. In den letzten Jahren wurde Moulènes künstlerische Praxis zunehmend objektbezogen und materialspezifisch. Die besonderen Qualitäten eines Materials und vor allem seine materialspezifischen Bearbeitungsmöglichkeiten reizen ihn, diese an die Grenze zu führen. In seinen 3D-gedruckten Objekten kombiniert Moulène Formen und Objekte zu bizarren Gefügen und nimmt die Veränderung der Objekte selbst vor, statt sie nur fotografisch zu dokumentieren. Dieses Ringen um Form und Ausdruck veranschaulicht Moulènes Vorstellung von Kunst als einer Konfliktzone: das Feld der Kunst ist für ihn kein friedliches: Ein Kunstwerk enthält für ihn stets „ja“ und „nein“ und es ist die Aufgabe der BetrachterInnen, die jeweils eigene Position zu finden und zu definieren.
Jean-Luc Moulène, geboren 1955 in Reims, lebt und arbeitet in Paris.
Anoka Faruqee, 2015P-08, 2015, Acryl auf Leinen und Tafel. Courtesy die Künstlerin
Die abstrakte Malerei der amerikanischen Künstlerin Anoka Farukee ist gekennzeichnet durch pulsierende optische und chromatische Effekte. Wiederkehrendes Motiv ihrer Bilder sind Muster und Texturen, die sie scheinbar unendlich justiert und durch kleine Permutationen variiert, um die Gesetzmäßigkeiten der Malerei auszuloten. Eines ihrer zentralen Anliegen ist dabei, eine Spannung zwischen atmosphärischen Lichteindrücken und Illusionen, sowie der Materialität von Farbe zu erzeugen. Beeinflusst einerseits von digitalen Technologien andererseits von den geometrischen Mustern islamischer Kunst, untersucht Faruqee in einer Werkgruppe von Diptychen (2000 –2005) die Beziehungen zwischen Original und Kopie, Authentizität und Reproduktion. Beispielsweise ordnet sie jeweils zwei Bilder einander zu, von denen eines durch spontane Farbausschüttungen entsteht und das andere diese Vorlage in einem langwierigen Arbeitsprozess nachahmt. Die Künstlerin teilt das Bild dazu in ein feinmaschiges Gitter und malt die kleinen – an Pixel erinnernde – Felder in den jeweils identischen Farbnuancen aus. Die so entstandene, scheinbar digitalisierte Version des ersten Bildes ist sowohl Kopie, als auch Original. Letztlich hinterfragen die verschiedenen Versionen des Bildes so den Wert, der in jedem der Bilder steckt, sei es in ihrer seltsamen Spontanität oder in der gewohnten menschlichen Bestimmtheit.
In ihren seit 2012 entstandenen Werkgruppen Moiré Paintings, Circle Paintings und Wave Paintings widmet sich Faruqee hingegen dem Moiré-Muster: Ein optisches Phänomen, das Interferenzen in Wellenformationen, magnetischen Feldern und auf Computerbildschirmen gleichermaßen beschreibt. Um diese Bilder zu schaffen, zieht sie gekerbte Werkzeuge mit verschiedenen Gesten von freihändig bis kontrolliert durch feuchte Farbe. Paradoxerweise zeichnen sich die Gemälde durch die große Perfektion und Selbstkontrolle ihres Entstehungsprozesses ebenso aus, wie durch jene Momente des Handwerklichen, in denen durch das Zittern der Hand und das Rinnen der Farbe Unzulänglichkeiten und Fehler entstehen. Obwohl letztere oft Überbleibsel der menschlichen Geste sind, resultieren sie zugleich aus dem Ungenügen von Werkzeug und Material. Sie können sowohl als malerische Geste, als auch als materieller Fehler und elektromagnetische Verfälschung gelesen werden. Wesentlich für ihre systematische Auseinandersetzung ist, dass sie das Muster nicht als an der Oberfläche haftendes Dekor, sondern als eine körperliche, aus einzelne modularen Formen und Farben aufgebaute Struktur versteht. Ihre Bilder zeichnen sich durch ein modelliertes Schimmern und eine große Dynamik der Tiefe aus. Die visuell miteinander verbundenen Schichten des Musters changieren durch die schwer zu erfassenden Überlagerungen von Blickpunkten zwischen Bewegung und Stillstand.
Anoka Faruqee, geboren 1972 in Ann Arbor (Michigan, USA), lebt und arbeitet in New Haven (Connecticut, USA).
Das Werk der deutsch-italienischen Künstlerin Rosa Barba lässt sich vor dem Hintergrund eines erweiterten Skulpturbegriffs lesen. Neben Fragen nach der Komposition, der Körperlichkeit von Form und der Plastizität spielt die zeitliche Dimension eine zentrale Rolle. Dieser Aspekt sowie ihr Interesse daran, wie Film Raum artikuliert, setzen Werk und Betrachter in ein neues Verhältnis, was sich auch im Inhalt ihrer Filme widerspiegelt. Jeder ist eine topografische Studie des modernen Unbewussten. Es sind Räume der Erinnerung und der Ungewissheit, die trotz der instabilen Realität, die sie darstellen, als versichernder Mythos zu lesen sind.
Barbas filmische Arbeiten bewegen sich zwischen experimentellem Dokumentarfilm und fiktionaler Erzählung und sind zeitlich nicht eindeutig festgelegt. Sie fokussieren häufig Naturlandschaften und vom Menschen verursachte Eingriffe in die Umwelt, sie untersuchen das Verhältnis zwischen historischer Aufzeichnung, persönlicher Anekdote und filmischer Darstellung. Eine Schlüsselstellung für Barbas räumlich erweiterten Begriff von Skulptur hat die Serie White Museum, bei der die Umgebung Teil der Installation wird. Ein Raum des jeweiligen Ausstellungsgebäudes wird zur Projektionskabine, aus der ein Filmprojektor ein rechteckiges Lichtfeld nach draußen wirft. Die Landschaft wird so zu dreidimensionalen Filmbildern, die von einem leeren Raum, gleichfalls Teil des Museums und der Ausstellung, betrachtet werden können. Die Außenwelt wird zum Bild, zur Idee. Die Arbeit wurde seit 2010 in verschiedenen ortsspezifischen Versionen gezeigt; erstmals im Centre international d’art et du paysage de l’île de Vassivière, wo der umliegende Park Teil der Installation wurde, anschließend unter anderem 2012 in Margate, in der Turner Contemporary (Projektion aufs Meer), 2015 im Hirsch Observatory in Troy, Upstate New York, wo die Projektion in den Himmel gerichtet wurde, und zuletzt auf der laufenden 32. São Paulo Biennale (bis Dezember 2016).
Parallel zu ihrem filmisch-installativen Werk gibt Barba seit 2004 die Editionsreihe Printed Cinema heraus, die als eine Art Sekundärliteratur zu Barbas Filmen fungiert: Da die Publikationen Recherche ebenso wie für den Film selbst verworfenes Material umfassen, bilden sie nicht nur eine visuelle, sondern auch eine dauerhafte Erweiterung der temporär begrenzten filmischen Vorführung.
Rosa Barba, geboren 1972 in Agrigent (Italien), lebt und arbeitet in Berlin.
Das Ausstellungsprogramm wird vom Vorstand der Secession zusammengestellt.